Dienstag, 23. März 2021
Das erste Jahr der Pandemie durch das SARS-CoVid-2-Virus
Corona erschafft eine Psychologie der Wahrnehmung dieser Krankheit, die seit langem nicht mehr vorzufinden war. Waren die Pandemien der letzten 100 Jahre in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit, insbesondere der Medien zu Zufällen degradiert worden, übernimmt das SARS-CoVid-2-Virus wieder die Aufmerksamkeitsstufe einer "Spanischen Grippe" oder des Typhus, der Tuberkulose und Cholera, welche vor Entdeckung der Antibiotika stets größere Ausbrüche verursachten.
Insbesondere Politik und Verwaltung haben sich in der öffentlichen Wahrnehmung innerhalb des letzten Jahres nahezu ausschließlich auf die Bekämpfung der Pandemie durch Regelungen "von oben" fokussiert, was durch die Medien zudem fast als deren ausschließliche Aufgabe präsentiert wird. Die Bevölkerung dagegen ist durch die Aussicht auf eine Erkrankung und durch die Maßnahmen zur Durchbrechung der Inzidenzsteigerungen paralysiert. Während man bei früheren Epidemien oder auch Pandemien auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung des Einzelnen gesetzt hatte, wird nun mit der staatlichen Lenkung des öffentlichen Lebens versucht, die Pandemie einzudämmen. Es entsteht der Eindruck, dass Eigeninitiative und Eigenverantwortung nicht erwünscht seien. Die Maßnahmen von Staat und Verwaltung werden daher in der Bevölkerung als Maximalforderungen wahrgenommen, die es einzuhalten gilt, wenn man gesetzestreu sein will.
Allerdings sind die Beschränkungen und Reglementierungen "von oben" lediglich ein Minimalkonsens von Politik und Verwaltung, den unterschiedliche politische Auffassungen genauso kennzeichnen, wie Einflussnahmen von Seiten der Interessengruppen. Das alles hat nichts mit dem zu tun, was als Eigenverantwortung zum Selbstschutz erforderlich und medizinisch angeraten wäre.
Würde Politik, Verwaltung und nicht zuletzt die Legislative die Zeit nicht damit verschwenden, Details von Lockdowns und Entschädigungsregelungen auszuhandeln oder die Forderungen ihrer jeweiligen Interessensgruppen anzubringen, könnten sie sich mehr auf die Erfordernisse konzentrieren, die eine Pandemie wirklich erfordert, nämlich Impfstoffe herbeizuschaffen, Medikamentenforschung voranzutreiben und die Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausbetten sowie die Ausstattung der Gesundheitsämter zu verbessern. Innerhalb eines Jahres der Pandemie scheint es nicht gelungen zu sein, diese Bereiche voranzutreiben, um die Folgen von steigenden Inzidenz-Zahlen abzufedern, ohne alles stillzulegen.
Die unterschiedlichen Richtungen, in die man forschen und aus denen man Erkenntnisse gewinnen sollte, sind genauso vielfältig, wie die Möglichkeiten, sich vor dem Virus zu schützen. Und diese Möglichkeiten sind genauso vielfältig, wie die Lebensumstände jedes Einzelnen. Politik und Verwaltung sollten daher zurückkehren zu ihren Aufgaben, das heißt, die Politik soll Grundlagen schaffen, mit denen wir, die Bevölkerung, unser Leben auch mit Virus sozusagen Corona-konform gestalten können. Und die Verwaltung soll dafür sorgen, dass Hotspots isoliert werden, Forschung vorangetrieben wird und Corona-konform gelebt und gewirtschaftet wird.
Und wir, die Menschen in diesem Land, müssen lernen, all diejenigen unter uns abzumahnen und gegebenenfalls abzustrafen, die nicht willens sind, sich Corona-konform zu verhalten. Der soziale Druck muss dabei so stark sein, dass kein Unternehmer, kein Veranstalter und kein Dienstleister oder keine Verwaltung, aber auch kein Corona-Leugner es wagen würden, nicht nur mindestens die staatlichen Vorgaben zu erfüllen. Der soziale Druck muss so groß sein, dass die Menschen über die staatlichen Vorgaben hinaus, nach den jeweiligen Umständen entsprechende, weitere Maßnahmen zum Schutz initiieren und durchsetzen können.
Amerikanisches Rotes Kreuz beim Abtransport eines Grippe-Opfers in St.Louis, USA, 1918 (Bild: Wikipedia-en)
Darüber hinaus sind bislang nur wenig oder gar keine Erkenntnisse dahingehend gewonnen worden, wo tatsächlich die Hotspots der Infektionen liegen. Bei 70 % der Fälle ist laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts eine Nachverfolgung zum Geschehen der Ansteckung gar nicht möglich gewesen. Und das, obwohl die Corona-App angenommen wird und hier Aufklärung bringen sollte. Die hohen Inzidenz-Zahlen an den Grenzen lassen darüber hinaus darauf schließen, dass sich dort Menschen nicht Corona-konform verhalten und womöglich ein Grenzverkehr stattfindet, um den Beschränkungen im eigenen Land zu entgehen. In den Hochi-Inzidenz-Gebieten müssen die Gesundheitsämter dafür ausgestattet werden, und in der Lage und willens sein, gegebenenfalls auch strafrechtlich zu ermitteln. Denn in Pandemiezeiten sind die Gesundheitsbehörden als Exekutive gefragt und gefordert.
Nur deshalb, weil die liberalistischen Gruppierungen in Deutschland seit Jahrzehnten ihren Parolen nach "schlanken Staat", "Deregulierung" und "Stärkung des Einzelnen" getreu den Abbau der Exekutive forciert haben, fehlen uns heute dringend notwendige Ressourcen im Gesundheitswesen. Das muss endlich als Fehler der Vergangenheit erkannt und mit den Erkenntnissen aus der derzeitigen Pandemie korrigiert werden.
Das letzte Jahr ist verhältnismäßig gut verlaufen und die Maßnahmen der Regierungen von Bund und Ländern haben gute Ergebnisse gezeitigt. Das hat bislang tatsächlich das Schlimmste verhindert. Und es ist nichts daran zu bemängeln. Die bislang ergriffenen Maßnahmen, Lockdown und Kontaktbeschränkungen, lassen sich aber nicht beliebig auf Dauer fortsetzen. Wir müssen lernen, mit dem Virus und seinen Mutanten zu leben.
Dazu gehören praktikable Rahmenbedingungen vom Gesetzgeber, verlässliche Umsetzung durch die Regierungen und die Verwaltung sowie handlungs- und durchsetzungsfähige Gesundheitsbehörden, welche die erforderlichen Auflagen mit regionalen Verordnungen erlassen, sie jedoch auch nachhalten und durchsetzen können.
Aber vor allem brauchen wir mehr Eigeninitiative, Eigenverantwortung zum Schutz und zum Schützen sowie Rücksichtnahme des Einzelnen. Das fängt beim Tragen der Masken an und geht über rücksichtsvolles Verhalten und schließt damit, dass man sich persönlich zurücknimmt und Bescheidenheit und Verzicht übt. Das sind alles Tugenden, die niemand mehr gerne lebt. Es sind aber die einzigen Maßnahmen, die helfen, dass wir und unsere Lieben gesund bleiben.